In der Kinderstube der Schleiereulen

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Mecklenburgs Dörfer erzählen Geschichte – leise, aber eindrucksvoll. Im Herzen dieser Orte stehen kleine, verwitterte Kirchen, errichtet aus Feldsteinen und Fachwerk, oft Jahrhunderte alt. Zahlen wie „1726“ sind tief in die Eichenbalken eingeritzt und zeugen von längst vergangenen Zeiten. Die hölzernen Glockentürme – mal direkt ans Kirchenschiff gebaut, mal ein Stück versetzt auf dem Kirchhof stehend – wirken wie stille Wächter der Vergangenheit. Und genau dort, an einem dieser alten Türme, begann mein diesjähriges Abenteuer – mitten unter den Schleiereulen.

Die Jungvögel der Schleiereulen sollten inzwischen vier bis fünf Wochen alt sein – ganz genau wusste es niemand, doch es war Zeit für die Beringung. An einem warmen Julitag trafen wir uns am vereinbarten Ort. Bereits vor Ort: die Betreuer dieses besonderen Schleiereulen-Spots.

Hoch oben im alten Glockenturm durchbrachen zwei dunkle Öffnungen die hölzerne Verkleidung. Direkt darunter lag eine beachtliche Menge Gewölle – ein sicheres Zeichen, dass hier Eulen wohnen. Später erfuhr ich, dass ursprünglich Turmfalken versucht hatten, den Brutkasten für sich zu beanspruchen. Doch die Schleiereulen setzten sich durch – mit Nachdruck.

Dank der installierten Wildkameras ist alles dokumentiert: beeindruckende Bilder und Videos zeigen die lautlosen, nächtlichen Besucher in Aktion. Ein Blick in eine verborgene Welt.

Die Öffnung am Schleiereulen-Brutkasten war gut gesichert. Hoch oben auf der Leiter stand einer der Betreuer, einen Karton vor der Öffnung fest in den Händen haltend – damit kein Jungvogel plötzlich ausflog. Vorsichtig kletterten wir die schmale, mit Schmelz überzogene Holzleiter bis unter das Dach des Glockenturms hinauf.

Zwei gusseiserne Glocken erinnerten an den ursprünglichen Zweck des Turms. Heute aber waren sie bloß stumme Zeugen eines ganz anderen Geschehens – der Beringung der Schleiereulen Jungvögel. Mit geübten Griffen wurden die jungen Eulen aus dem Brutkasten entnommen, in eine robuste Segeltuchtasche gelegt und sicher nach draußen gebracht. Denn für das Beringen war der Raum dort oben schlicht zu eng.

Video – junge Schleiereulen

Draußen, auf einem alten Milchbock vor der moosbedeckten Feldsteinmauer – ebenfalls ein stiller Zeitzeuge – begannen die eigentlichen Arbeiten. Ich nutzte die Gelegenheit und warf einen Blick in den Brutkasten. Dort lagen weitere Gewölle, einige tote Mäuse und die Spuren nächtlicher Jagden – ein Paradies für die Kamera, weniger für die Nase. Der Geruch? Schwer zu beschreiben. Irgendwo zwischen „nicht ausgemisteter Hühnerstall“ und „uralter Dachboden mit Leben“.

Am alten Milchbock herrschte reges Treiben – fast wie auf einem kleinen Bahnhof. Die Beringung der jungen Schleiereulen verlief routiniert und zügig. Nach wenigen Minuten trugen alle fünf Jungvögel einen leichten Ring am rechten Fang – wichtig für die wissenschaftliche Beobachtung.

Natürlich durften die Erinnerungsfotos nicht fehlen: Schleiereulen auf dem Arm, große Augen in kleine Kameras blickend, während Begriffe wie „so süß“ und „einfach bezaubernd“ durch die warme Juliluft schwebten. Doch allzu lange sollte die Prozedur nicht dauern – der Stress für die Tiere sollte so gering wie möglich bleiben.

Also ging es zurück – über die knarrende Leiter, die Tasche mit den Eulen vorsichtig in der Hand – hinauf in den hölzernen Glockenstuhl. Nur wenig später löste sich die kleine Menschengruppe im Ortskern wieder auf. Für uns jedoch war der Tag noch nicht zu Ende: Vier weitere Kirchen im ländlichen Mecklenburg standen noch auf dem Plan. Am Abend konnten wir schließlich 26 junge Schleiereulen zählen – jede davon nun registriert, markiert und bereit für ihr nächtliches Leben.

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